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Wut und Reife

Das Projekt “Queer Family Album” von Katie Lee Dunbar


Niemand macht sich eine Vorstellung vom queeren Leben. Jedenfalls nicht die, die dieser Community nicht angehören wie ich, ein weißer Cis-Mann, dem als Tanzjournalist das Glück zuteil werden durfte, akzeptiert zu werden von denen, die mich nicht als testerontriefendes Maskulin wahrnehmen. Genau diese Sorte weiß so gut wie nichts von Queerness, als allein eine Vorstellung davon, was so gemeinhin auf den Oberflächen als Karikatur durchs Meer der Bilder treibt. Nun geht es Katie Lee Dunbar in ihrer Serie “Queer Family Album” aber um das wirkliche Leben. Um die

wirkliche Wut. Wie in “She Shanty” von Yvonne Sembene, das soeben erschien auf Volume 1 als Track I. Es der blanke Groll, der da über die Bühne am Berliner Ballhaus Ost tobt. Auf der Rückseite des Albums, auf Track II, findet sich „Pass This On“ von KAy Garnellen. Auch das ist die blank gezogene Wahrheit eines Menschen, der eine ewig in sich gärende Transition abschloss und reif geworden ist: die Geschichte einer queeren Emanzipation. Die Wahrheit und das Märchen. Zunächst aber zu “She Shanty” von Yvonne Sembene: Das Stück tut so, als wäre es ein Märchen mit allen dafür nötigen Zutaten. Es war einmal: ein Prinz, der Prinzessinnen rettet. Oder anders: die

Geschichte einer Prinzessin, die den Prinzen tötet, um sich selbst zu retten. So macht sie sich auf, eine, die auszog, das Fürchten zu lernen und ganz sicher nicht mehr heimkommt. Statt Heim, Herd, Heimat folgt sie einem Ruf vom Grund des Meeres, denn sie will ihr eigenes Königinnenreich gründen – und findet Königinnen überall auf ihrer Odyssee, Königinnen mit vielen Regeln, die vor allem für Prinzessinnen gelten: etwa die, sich niemals von einem Prinzen retten lassen zu dürfen. So wird sie nun weiter segeln müssen, von Insel zu Insel zu Amazonen, Träumerinnen, Missionsschwestern – und zu den vielen Inseln queerer Identität, die das liberale Leben so anlockt: „Aber erwarte keine Liebe, kein Recht, dazuzugehören“. Denn du bist queer, du bist schwarz, du bist weiblich konnotiert. Was kann es Schlimmeres geben, denkt die Prinzessin, die sich kein binär denkendes und urteilendes Leben wünscht? Viel Verzweiflung steckt in diesem bewusst harmlos getanzten Stück, das wie ein Kinderstück komponiert und mit einer Erzählerin versehen wurde, die den einsamen Tanz illustriert mit der Frage, was schlimmer ist: In der Fremde von Fremden

angegriffen oder in der eigenen Community von ihresgleichen verurteilt zu werden? Natürlich macht beides wütend. Die Suche geht weiter nach dem eigenen Königinnenreich, nach ihrer Poesie, ihrer Herkunft, ihrer Identität: Vielleicht nicht als Prinzessin. Vielleicht funktioniert diese Suche besser als eine namenlose Piratin, eine Figur vielleicht, die in diesem Leben ihren Ort auch gar nicht finden will.


Pass This On, von KAy Garnellen PC Dieter Hartwig


So tritt sie ab. Eine Putzfrau tritt auf, mit buntem Feudel, und räumt auf. Die Putzfrau, KAy Garnellen, erklärt an einem Kinderbild eine Patchwork-Familie, die eigene, ganz reale Familie, die entstand und wuchs während eines langen Abenteuers, das man das Leben nennt. „Pass This On“ von KAy Garnellen, 46, ist der Monolog eines Lebens, das als gut dotierte Finanzanalystin bei einer Versicherung begann. Bis 2008 in Paris, als die Geschlechtsumwandlung begann. „Die Szene in Paris, meine queere Familie, war damals sehr klein. Sie bestand aus 30 oder 40 Transsexuellen, darunter meinem Trans-Dad, der zwar jünger war als ich, aber seine Geschlechtsumwandlung schon

hinter sich hatte. Und meiner Femme-Mutter, die mich zum ersten Mal mit auf die Bühne nahm, um sie zu fisten. Ich hatte eine transsexuelle Schwester, die mir beibrachte, wie man sich schminkt und in High Heels läuft. Und ich hatte zwei transsexuelle, maskuline lesbische Brüder, von denen mir einer zeigte, wie ich meinen neuen Bart rasieren konnte. Mit dem anderen lebte ich in glücklicher

Obdachlosigkeit zusammen“ und zogen von einer queeren Wohnung zur nächsten.

KAy Garnellen erzählt, wie schnell die körperliche Veränderung wirkte. Binnen fünf Monaten, noch vor der Hormontherapie, „fühlte ich wie mich ein Cis-Mann, wie ein 16-jähriger Junge. Und ich entdeckte, dass es auch Raubtiere für kleine Jungen gab.“ Ein Mann in Köln wollte Sex von ihm im Hinterzimmer seines Ladens. Er hatte bis dato noch nie mit einem Mann Sex gehabt.


'She Shanty' von Yvonne Sembene mit Sydney Rabin (recht) PC Dieter Hartwig

Heterosexuelle Damen baggerten die Ex-Lesbe an. Durch die Geschlechtsumwandlung änderte sich nicht nur das Aussehen, auch die Sexualität, und zwar komplett. KAy Garnellen entdeckte BDSM und Sexspielzeug. Im damals einzigen queeren Sexshop in Berlin, dem von Laura Méritt, gab es einen Dildo zum Umschnallen, um allzeit zu allem bereit zu sein. Ebenso braucht es einen Pisse debout, um im Stehen pinkeln zu können. KAy Garnellen erzählt dies als eine Geschichte, in der es „zu viele Ex-Partner gibt, zu viel soziale Angst“ und zu viel Einsamkeit, „als die treibende Kraft für

Veränderungen“. KAy Garnellen hat als trans-maskuliner Mensch unter anderem die Trans-Pride in Paris angeführt, auch wenn er in der Community öfter ein Problem bekommt, sobald man ohne Hemd im Club auf die anderen eben wie ein Cis-Mann wirkt. KAy Garnellen erzählt von einer Meningitis, die drei Monate Rollstuhl bedeutete, von Angstzuständen, einem gestörten Gleichgewichtssinn, Schmerzen in der Hüfte, einer genetischen Autoimmunerkrankung, die Depressionen erzeugt. Und erzählt dann endlich von der queeren Utopie außerhalb heterosexistischer patriarchalischer Normen. „Queere Utopie“, sagt Kay Garnellen, bestehe darin, „in dem Geschlecht leben zu können, das zu mir passt. In der chinesischen Medizin sind Yin und Yang queer in dem Sinne, dass sie nicht auf eine festgelegte Weise Männern

oder Frauen zugeschrieben werden. In der Psychoanalyse ist das Unbewusste queer. Es kümmert sich nicht um unser Geschlecht.“


Team von Queer Family Album

Dieses Wissen, und selbst das Scheitern vor diesem Wissen, fasziniert eben nicht nur eine queere Community. Man hat, auch als weißes Cis-Maskulin, viel mehr von Menschen, wenn man sie auf diese offene Weise schonungslos ehrlich kennenlernen darf. Um sie genießen zu können, gerade in ihrer Wut und in ihrer Wehrhaftigkeit.

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